29.04.2024

"Es war wirklich ein Abenteuer!”: Mit DiscoverEU Inklusion durch Europa reisen

DiscoverEU Inklusion ermöglicht jungen Menschen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen, Europa reisend zu erleben. Eines der ersten Projekte mit dem Förderformat wurde Anfang 2023 von Gemeinsam leben Frankfurt e.V. durchgeführt. Drei 18-jährige begaben sich mit ihren Betreuer*innen auf eine erlebnisreiche Zugreise von Frankfurt bis in die Algarve.

DiscoverEU bietet jungen Menschen im Laufe ihres 18. Lebensjahres die Gelegenheit, Europa zu entdecken. In einer zentralen europaweiten Verlosung bewerben sich 18-Jährige für einen Reisegutschein, mit dem sie bis zu einen Monat lang durch Europa reisen können. Damit auch junge Menschen Europa reisend erleben können, die bei der Planung, Organisation und Durchführung einer solchen Lernreise Unterstützung benötigen, gibt es DiscoverEU Inklusion.

Der gemeinnützige Elternverein Gemeinsam leben Frankfurt e.V. führte eine der ersten Reisen mit DiscoverEU Inklusion durch. Nach dem Motto “Wir machen Inklusion” schafft der Verein seit zehn Jahren inklusive Angebote für junge Menschen. Neben einer Beratungsstelle und einem Projekt zu inklusiven Arbeitsmöglichkeiten, gibt es einen Offenen Treff für Kinder und Jugendliche ab der fünften Klasse. Der Offene Treff bietet Schüler*innen die Möglichkeit, nachmittags für Freizeitaktivitäten und Hausaufgabenbetreuung zusammenzukommen sowie an Ferienangeboten teilzuhaben. Dieser Rahmen ermöglichte drei jungen Menschen eine Lernreise mit DiscoverEU Inklusion. Jorinde Gessner, ehrenamtliches Vorstandsmitglied und Elternteil eines Mitreisenden, spricht im Interview über die Planung und Umsetzung des Projekts sowie über Chancen und Herausforderungen des Förderformats.

JUGEND für Europa: Wie ist das Projekt entstanden?

Jorinde Gessner: Ich habe von DiscoverEU Inklusion über einen Verteiler erfahren und war gleich davon angetan. Es ist wahnsinnig schwierig, Auslandsaustausche für junge Menschen mit Behinderung zu finden; vor allem mit einer geistigen Behinderung. Das hat mich persönlich immer sehr geärgert. Mein Sohn ist im vergangenen Jahr 18 geworden, er ist im offenen Treff gewesen und hatte da auch eine kleine Freundesgruppe.

Daher dachte ich, wir könnten ein DiscoverEU Inklusion-Projekt als Verein pilotieren. Es war unsere erste europäische Förderung, dabei hat uns JUGEND für Europa ganz gut begleitet und betreut. Das hat mir Mut gemacht, neue Wege zu gehen.

Wie sind Sie bei der Konzeption des Projekts vorgegangen?

Wir wollten die Teilnahme allen aus dem Offenen Treff ermöglichen, die in dem Jahr 18 waren oder wurden. Das war die einzige Einschränkung und dadurch hat sich die Anzahl der möglichen Kandidat*innen etwas reduziert. Wir hatten dann drei Teilnehmende, die sich alle kannten.

Eine größere Reisegruppe wäre denkbar gewesen, aber da es unser erstes Projekt war, wollten wir es zunächst im kleinen Rahmen ausprobieren. Als Betreuer*innen waren junge Menschen mit pädagogischer Ausbildung dabei, die im Offenen Treff arbeiten und Mitte 20 sind. So waren sie den Jugendlichen bereits bekannt und bezüglich ihres Alters passend. Achtzehnjährige möchten ungern mit den Eltern verreisen.

Anfang März 2023 haben wir ein Vorbereitungswochenende organisiert. Am Samstag haben die drei Jugendlichen gemeinsam mit ihren Betreuer*innen überlegt: Wo wollen wir hin? Was wollen wir sehen? Durch das gemeinsame Planen wurde berücksichtigt, was die Jugendlichen interessiert, welche Aktivitäten sie machen wollen und welche Wünsche sie haben. Sie haben auch nach Übernachtungsmöglichkeiten geschaut. Das alles haben sie visuell auf einem Tisch sowie als PowerPoint Präsentation aufbereitet. Sonntags wurden die Ideen dann den Eltern und Geschwistern präsentiert.

Welche Aktivitäten wurden im Rahmen der Reise durchgeführt?

Die Jugendlichen haben die kompletten drei Wochen in den Osterferien 2023 ausgenutzt und sind nach Frankreich, Spanien und Portugal gereist. Sie hatten einige Stationen und auch eine Pausenwoche an der Algarve.

Es wurden viele Fotos gemacht und in einer App gepostet, so dass wir als Eltern immer teilhaben konnten. Im Anschluss haben wir zur Erinnerung ein Fotobuch bekommen, mit welchem die Jugendlichen von der Reise erzählten.

Welche Wirkung hatte das Projekt auf die Teilnehmer*innen und ihr Umfeld?

Die Jugendlichen haben auf jeden Fall einiges erlebt. Es gab Höhen und Tiefen, also es war wirklich ein Abenteuer! Es war nie gefährlich, es ist keiner krank geworden, aber sie haben teilweise Züge nicht erreicht und mussten umdisponieren. Wir haben von den Betreuer*innen das Feedback bekommen, dass die Jugendlichen sehr erwachsen agiert und als Gruppe gut funktioniert haben. Dieses Selbstbewusstsein, dass sie diese Wahnsinnsreise geschafft haben, hat man ihnen angemerkt, als sie wiedergekommen sind. Das war richtig toll!

Alle Eltern waren begeistert, dass dieses Projekt organisiert und finanziert wurde. Es gab einen Eigenanteil der Eltern und auch unser Verein musste Zuschüsse geben, weil wir uns bei bestimmten Kosten verschätzt hatten: Das war für alle in Ordnung, denn es war eine ganz besondere Möglichkeit für die Teilnehmer*innen.

Inwiefern haben die Teilnehmer*innen selbst die Reise und ihre eigene Weiterentwicklung reflektiert?

Wir haben Youthpass als Reflexionsinstrument genutzt. Das war ein bisschen schwieriger für die Teilnehmer*innen, weil sie eine geistige Behinderung haben. Die Betreuer*innen können die Weiterentwicklung vielmehr beobachten und anekdotisch davon erzählen. Die Jugendlichen äußern sich zwar mit “Boah, das war toll!” und “Das und das ist passiert!”, aber intensiv zu reflektieren ist für sie schwieriger.

Welche Vorteile bietet Ihrer Meinung nach das Förderformat Discover EU Inklusion? Welche Nachteile? 

Ein Vorteil für uns war die großzügige Unterstützung im Bereich Inklusion. Ohne diese wäre die Reise nicht möglich gewesen. Es ist schwierig, freiwillige Begleiter*innen für solche Projekte zu finden. Die Betreuer*innen haben die Reise zwar sehr gerne begleitet, aber es bleibt für sie ein Job. Eine organisatorische Herausforderung war, dass die Umsetzung der Aktivitäten im Förderformat erst ab 1. März 2023 möglich war. Da unsere Reise zum 1. April starten sollte, war es wirklich knapp. Wir hatten zwar die Zusage für die Förderung, aber durften erst ab dem 1. März aktiv werden, um alles zu buchen und zu planen. Doch das ist uns gelungen – die Reise war großartig!

Das Projekt umzusetzen wäre sicherlich einfacher gewesen, wenn wir die Reise in den Sommerferien durchgeführt hätten. Allerdings waren wir durch die Altersbegrenzung eingeschränkt, weil einzelne Teilnehmer*innen in den Ferien bereits 19 wurden. Das ist auch ein Kritikpunkt an dem Förderformat, da gerade Menschen mit geistiger Behinderung oft später selbstständig werden. Deswegen fände ich es fairer, wenn man die Altersspanne für dieses Format erweitert.

Nicht zuletzt wäre es das perfekte Format, wenn Jugendliche mit und ohne Behinderung gemeinsam reisen würden. Für uns war das schwierig, weil wir noch mit einer anderen Organisation oder der Schule hätten kooperieren müssen. Aber das wäre für mich das Idealbild. Die Jugendlichen könnten sich gegenseitig unterstützen und ihre Fähigkeiten zum Beispiel bei der Nutzung von Apps miteinbringen. Das wäre gelebte Inklusion!

Anmerkung der Redaktion: Für alle geförderten Projekte ab 2024 gelten neue Altersbegrenzungen. Alle Teilnehmer*innen müssen zu Beginn der Projektlaufzeit 18 Jahre alt sein. Mit der Projektlaufzeit ist nicht die eigentliche Reisezeit gemeint, sondern die Gesamtlaufzeit des Projekts. Diese umfasst die Vorbereitungsphase, die eigentliche Reise und eine Nachbereitung. Die Gesamtlaufzeit eines Projekts muss mindestens drei und kann bis zu maximal 24 Monate dauern. Ausschlaggebend für die Altersgrenze ist der offizielle Projektbeginn, der bei Antragstellung festgelegt werden muss. Teilnehmende müssen zu diesem Stichtag 18 Jahre alt sein und können bei dem tatsächlichen Reisebeginn auch bereits 19 oder 20 Jahre alt sein (abhängig von der gewählten Dauer des Projekts).

Was würden Sie Organisationen empfehlen, die ein Projekt mit DiscoverEU Inklusion umsetzen möchten?

Plant genug Zeitpuffer ein! Auch würde ich empfehlen, eine nicht so ambitionierte Reisestrecke zu wählen. Wir hatten uns dieses “Man muss bis Portugal” in den Kopf gesetzt. Dabei gibt es viele schöne Reiseländer angrenzend an Deutschland. Es ist zwar alles gut gegangen, aber es hätte auch weniger aufwendig sein können. Gerade mit dieser Zielgruppe nimmt das gemeinsame Planen und Buchen viel Zeit in Anspruch. Daher bietet es sich an, mit einer überschaubaren Aktivität zu beginnen.

Auch spannend wären Kooperationen mit Partnerorganisationen, die für gemeinsame Aktivitäten besucht werden könnten, um einen tieferen Austausch zu schaffen. Wenn man noch keine Partnerorganisationen kennt, empfehle ich eine Partnership Building Activity zu besuchen.

Andere Organisationen bringen möglicherweise mehr Erfahrung und Personal mit, sodass man als Juniorpartner in ein Projekt einsteigen könnte. Ich habe selbst im November 2023 an einer solchen Activity in Kopenhagen teilgenommen und habe dort zwei Partnerorganisationen aus Portugal und Ungarn kennengelernt. Wir haben nun gemeinsam einen Antrag für eine Jugendbegegnung in den Sommerferien gestellt. Es ist der erste Schritt zur Teilhabe, dass junge Erwachsene die Möglichkeit haben, an solchen Projekten teilzunehmen, die ihnen bis jetzt oft verschlossen geblieben sind.

Nicht zuletzt werden im Rahmen der EU-Jugendprogramme regelmäßig Fortbildungen im Bereich inklusiver europäischer Jugendprojekte angeboten, die den eigenen Mitarbeiter*innen empfohlen werden können. Dabei springt möglicherweise ein Funken über. Denn um solche Projekte zu initiieren, braucht es immer motivierte und engagierte Leute, die sagen “Ich will das machen!”. Jedes Projekt ist eine wertvolle Erfahrung und Möglichkeit zum Lernen und Weiterentwickeln – für alle Beteiligten.

Liebe Jorinde Gessner, wir danken für das Gespräch. Wir wünschen Ihnen gutes Gelingen bei Ihren weiteren Projekten.

(JUGEND für Europa / Fotos: privat)

Weiterführende Informationen

Aktuelle Fortbildungen zu Themen wie Inklusion & Vielfalt und der Förderung europäischer Jugendprojekte werden regelmäßig in unserem Fortbildungskalender veröffentlicht:  https://www.jugendfuereuropa.de/fortbildungen/action-online/

Weitere Informationen zum Förderformat DiscoverEU Inklusion finden sich unter: https://www.erasmusplus-jugend.de/foerderung/leitaktion-1/discovereu-inklusion/ Gerne beraten wir Sie individuell zum Förderformat und zu Ihrem Projektentwurf. Unsere Ansprechpartner*innen stehen Ihnen gerne zur Verfügung.